Träumer oder Arbeitsbiene?
Wunderst du dich über manche Kollegen, die mit aufgeräumtem Schreibtisch manchmal dasitzen und träumend aus dem Fenster schauen?
Und irgendwann wendet sich dieser Kollege dann in aller Seelenruhe wieder dem Computer zu und arbeitet weiter.
Hast du dann vielleicht gedacht: „Na, so einen Arbeitstag hätte ich auch gerne, der hat ja offensichtlich kaum was zu tun!“
Dann gibt es den Kollegen im Nebenzimmer, dessen Schreibtisch fast überläuft… Akten, Meetingprotokolle, ToDo-Listen, Postits mit irgendwelchen Reminders drauf. Der ist bestimmt fleißig, oder? Und wahrscheinlich ist er das auch.
Aber was glaubst du, wer von den beiden eher aufsteigen wird? (Gehen wir davon aus, dass beide ihren Job beherrschen und es keine anderen Gründe gibt, die gegen ihre Beförderung sprechen.)
Wer steigt eher auf?
Man könnte meinen, der Fleißige mit dem vollen Schreibtisch sollte doch auf jeden Fall als erstes mit einer Beförderung belohnt werden, oder? Aber tatsächlich ist es oft genau andersherum. Lass uns genauer hinschauen, warum.
Stell dir dazu mal einen Bienenstock vor. Da gibt es eine Bienenkönigin und die ist nur fürs Eierlegen zuständig. Die muss sich schonen, damit sie diesen Job ordentlich erledigt, denn der Fortbestand des Bienenvolkes hängt davon ab.
Dann gibt es die Arbeitsbienen, die fliegen den ganzen Tag herum, holen Blütenstaub, liefern ihn ab und fliegen sofort wieder los. Es gibt kaum eine Atempause, die Arbeitsbienchen fliegen, bis die Sonne untergeht.
Und dann gibt es die Aufpasser, die sorgen dafür, dass die Arbeitsbienen richtig arbeiten können und passen auf, dass keiner in den Bienenstock hereinkommt, der dem Volk schaden kann. Diese Bienen holen keinen Blütenstaub. Sie bewegen sich gar nicht sehr viel – es sei denn, es gibt ein Problem. Dann allerdings setzen sie sich voll ein, notfalls auch mit ihrem Leben.
Dein Unternehmen - ein Bienenstock
In den Unternehmen gibt es eine ähnliche Aufteilung. Der, der den ganzen Tag voll im Einsatz ist (mit dem vollen Schreibtisch) hat keine Kapazität, sich um den Überblick und um die Strategie zu kümmern. Seine Zeit ist auch begrenzt, denn es gibt viel zu tun und der Tag hat nur 24 Stunden. Und das sieht auch der Vorgesetzte so.
Wenn nun der Vorgesetzte nach dem nächsten Teamleiter sucht, wen wird er also in Betracht ziehen? Den, der den Blick den ganzen Tag in den Projekten auf seinem Schreibtisch hat und offensichtlich dort an seiner Position eine tolle Arbeitsbiene ist? Soll er dem jetzt noch eine zusätzliche Verantwortung auflasten? Der kommt ja jetzt schon kaum mit seiner Zeit aus!
Oder den, der ab und zu aus dem Fenster schaut, der sich Zeit nimmt, mit den Kollegen der anderen Abteilungen ab und zu essen zu gehen oder ein Gespräch auf dem Gang führt. Der nach einem ausgiebigen Blick aus dem Fenster mit dem einen oder anderen Verbesserungsvorschlag kommt, der vielleicht noch nicht einmal seinen Bereich betrifft? – Der offensichtlich Zeit, Kraft und auch Lust hat, sich mit den übergreifenden Belangen zu beschäftigen?
Dieser Mitarbeiter hat offensichtlich Zeit und Raum für Kreativität, eine Eigenschaft, die eine Führungskraft unbedingt braucht. Denn als Führungskraft muss er Lösungen finden oder zumindest anregen und Prozesse gestalten.
Die richtige Positionierung
Und damit wir uns jetzt richtig verstehen, meine Message lautet nicht: „Schmeiß am Montagmorgen alle deine Projekte in die runde Ablage und schau den ganzen Tag aus dem Fenster, damit du bald Chef wirst!“ So ist das nicht gemeint. Eine gute Leistung zu bringen, ist natürlich immer nötig. Aber ich gehe davon aus, dass die, die gerne weiterkommen möchten, meistens leistungsfähige und auch leistungswillige Menschen sind.
Die Message lautet: Nimm dir ganz absichtlich Zeit und Raum für den Blick über den Tellerrand. Du musst nicht gleich das ganze Unternehmen in den Fokus nehmen, es reicht, wenn du dir deine Abteilung oder dein Team genauer anschaust. Interessiere dich dafür, welche Pläne dein Chef derzeit mit deinem Team hat. Was könntest du zur Unterstützung dieser Pläne tun?
Teile deine guten Ideen mit ihm und den Teamkollegen und biete dich an, die Umsetzung zu organisieren.
Und probiere aus, ob du nicht besser und klarer denken kannst, wenn dein Schreibtisch aufgeräumt ist. Das ist bei vielen Menschen der Fall. Du schaffst damit psychologisch sichtbaren Raum für etwas Neues.
Natürlich wirst du dafür Zeit aufwenden, in der du eventuell ein Projekt oder ein Angebot weniger machen kannst. Aber dieses letzte Angebot hätte dich deiner Beförderung in den meisten Fällen auch nicht nähergebracht.
Kreativität braucht Raum und Zeit. Also leg am besten gleich los! Schaffe dir beides in deinem Arbeitsalltag. Mach dir dazu einen Plan, blocke notfalls ein Meeting mit dir selbst im Kalender.